Willkommen im Band
        Gegen Mitternacht erleuchtete ein Licht,

 das heller war als das Licht des Tages,
 die Umgebung des Hauses, als ob zehn Monde zugleich ihren Glanz ausstrahlten.
Sogar die Poren der Haut konnte man erkennen.
Vom Himmel, auf einer Wolke, kamen Wesen hernieder -
 sie standen aufrecht etwa fünf Fuß hoch über dem Boden.

Die Willenskraft aller im Hause und im Garten wurde von einer überirdischen
Macht gelähmt, und ihr Kampfgeist schmolz dahin.
Einige rissen sich zusammen, wollten nach ihren Pfeilen und Bogen greifen,
 aber ihre Hände waren kraftlos, ihre Körper sanken zu Boden.
 Andere, besonders Entschlossene, brachten es fertig, ihre Pfeile abzuschießen -
 als aber die Pfeile ihr Ziel verfehlten, torkelten auch sie wie gelähmt zurück
 und schauten mit weiten Augen her trunken mit dem Gesicht nach
 unten auf dem Boden.

Der König erhob nochmals seine Stimme und sprach:
"Dir, alter Mann, haben Wir wegen einiger guter Taten
 dieses Kind herabgesandt: für eine kurze Zeitspanne als Hilfe für dich.
Sie hat dir während dieser Jahre Reichtum gebracht und dadurch

 dein Leben verändert. 
Kaguya Hime wiederum mußte zur Strafe für eine schlechte
Tat einige Zeit in deinem niederen Haus verbringen. Sie hat nun
 genug gesühnt, und Wir sind gekommen, sie zurückzuholen. Auch wenn du,
 alter Mann, dir die Augen ausweinst - es nützt dir nichts.
Geschwind, gib Uns Kaguya Hime zurück!"

Der alte Mann antwortete: Ich habe Kaguya Hime
 mehr als zwanzig Jahre  lang umhegt.
 Ihr aber sprecht von einer kurzen Zeitspanne -
 das reimt sich nicht zusammen!
 Vielleicht gibt es woanders jemanden, der Kaguya Hime heißt?
 Und er fügte hinzu: "Übrigens ist die Kaguya Hime, die hier wohnt,
 gerade sehr krank und kann nicht herauskommen"

Ohne ihn einer Antwort zu würdigen, ließ der König seinen Wagen
 an das Dach des Hauses heranschweben und rief:
"Nun, Kaguya Hime, wie lange verweilst du
 noch an diesem unreinen Ort?"

Sogleich tat sich die gut verschlossene Tür zum inneren Gemach ganz
 von alleine auf, die Gittertüren öffneten sich alle,
 ohne daß eine Hand sie berührte.

Kaguya Hime, von der alten Frau fest umklammert, trat hervor.
Unfähig, sie zurückzuhalten, blickte die alte Frau hilflos empor und weinte.
Kaguya Hime ging auf den alten Mann zu, der noch immer verstört und
 schluchzend am Boden lag, und sagte:
"Ich verlasse euch, weil ich muß. Begleitet mich
wenigstens zum Abschied."
Er antwortete mit tränenerstickter Stimme: "Wie soll ich es ertragen,
dich weggehen zu sehen?
Was wird aus mir, wenn du mich verläßt und dort hinauf gehst?
Nimm mich mit!"
Sein Anblick vertiefte ihren Schmerz, und sie sprach:

"Ich werde euch einen Brief hier lassen. Immer, wenn ihr
euch nach mir sehnt, nehmt ihn zur Hand und lest ihn."
Und unter Tränen schrieb sie:

"Wäre ich ein Kind dieser Welt, ich würde bei euch bleiben
und euch nie Sorgen bereiten. Daß ich euch verlasse, geschieht
wahrhaftig gegen meinen Willen.
Bitte behaltet die Kleider, die ich nun ablege, zur Erinnerung.
Nachts, wenn der Mond am Himmel steht, schaut bitte hinauf.
Es ist dann, als fiele  ich zu euch herab durch den weiten Raum,

den ich durchquert habe, nachdem ich euch verließ." 

Ein Wesen von der Anderen Welt trug zwei Schachteln herbei.
Die eine enthielt das überirdische Gewand, die andere das Manna der Unsterblichkeit.
Das Mondwesen sagte zu Kaguya Hime:
"Nehmt aus diesem Behälter die Speise

der Unsterblichkeit. 

Die irdische Speise, die Ihr an diesem unreinen Ort genossen habt,
muß Euch widerwärtig sein."
Das Manna wurde ihr dargeboten, und sie kostete davon.
Dann wollte sie in ihre abgestreiften Kleider als Abschiedsgabe
ein wenig davon einhüllen, doch die Mondwesen hinderten sie daran.

Sie entfalteten das überirdische Gewand,
um es ihr über die Schultern zu legen.
Kaguya Hime wehrte ab: "Wartet einen Augenblick."

Und sie fügte hinzu:
"Man sagt, wer dieses Gewand trägt, verändert sich im Herzen.
Ich muß aber vorher noch ein Wort niederschreiben."
Und sie begann einen Brief. Die Wesen drängten ungeduldig,
es werde höchste Zeit, doch Kaguya Hime erwiderte:
"Laßt in euren Worten nicht so sichtbar werden, wie wenig ihr von
menschlichen Gefühlen versteht." Sehr ruhig fuhr sie fort,

an den Kaiser zu schreiben. 
Sie schien ganz gefaßt.

"Ihr habt Euch bemüht, mich zurückzuhalten,
indem Ihr viele Soldaten schicktet.
Doch kein Widerstand half gegen jene, die gekommen sind,
mich zu ergreifen und wegzuführen. Wie tief traurig ich bin!
Daß ich nicht Euch zu Diensten an den Hof kam,
muß Euch rätselhaft erschienen sein - es lag an den ungewöhnlichen
Umständen meines Hierseins. Daß Ihr mich wegen meiner beharrlichen
Weigerung unhöflich genannt haben möget, bekümmert mich." 

Und sie fügte das Gedicht hinzu:

Wenn sich das überirdische Gewand aus federleichter Seide

nun um meine Schultern  legt

sehnt sich mein Herz nach Euch

Mein Gebieter 

Sie zeigte auf den Brief und das Gefäß mit dem Manna der Unsterblichkeit
und ließ nach dem General rufen. Er sollte es dem Kaiser überbringen.
Ein Mondwesen händigte ihm beides aus.
Danach ließ Kaguya Hime sich das überirdische Gewand umlegen. 

Im gleichen Augenblick schwand aus ihrer Erinnerung auch die mitfühlende
Bindung an den alten Mann, denn wer dieses Gewand trägt,
wird von allem Leid befreit. So stieg sie in den Wagen, und umgeben von

hundert Mondwesen schwebte sie empor. 

Nach ihrem Weggang verzehrten sich der alte Mann
und die alte Frau vor Kummer, sie weinten blutige Tränen,

aber es half alles nichts. 

Man las ihnen den Brief vor, den Kaguya Hime ihnen
hinterlassen hatte, doch sie jammerten:
"Für was lohnt es sich noch zu leben?
Für wen hat es einen Sinn, daß wir noch da sind?
Alles ist sinnlos geworden." Sie nahmen keine Arzenei.

Bald hatten sie nicht mehr die Kraft, sich zu erheben,
und wurden krank. 

Der General Takano no Ookuni kehrte mit allen seinen Soldaten
an den Hof zurück und erstattete dem Kaiser genau Bericht,
warum er unfähig gewesen war, sich dem Kampfe zu stellen und
Kaguya Hime zurückzuhalten.
Zusammen mit dem Brief übergab er dem Kaiser das Gefäß mit dem Manna
der Unsterblichkeit.
Der Kaiser öffnete den Brief und las ihn.
Da ergriff ihn tiefste Einsamkeit, er verschmähte jegliche Speise.
Keine Musik konnte ihn erfreuen.
Er ließ seine Minister und Edlen vom Hofe zusammenrufen und fragte:

"Welcher Berg erhebt sich dem Himmel am nächsten?"
Jemand antwortete: "Ein Berg in der Provinz Suruga ist,
so hörte ich, dem Himmel so nahe wie der Hauptstadt."
Daraufhin schrieb der Kaiser
ein Gedicht als Antwort an Kaguya Hime: 

                                                             Liebe bedarf der Tränen.

welchen Sinn hat da für mich
Unsterblichkeit 

Der Kaiser übergab das Gefäß einem auserwählten Boten.
Er trug ihm auf, das Manna auf den Gipfel jenes Berges in der
Provinz Suruga zu bringen, und gab ihm Anweisung,
was er auf dem Berge zu tun habe: er solle das Gefäß mit dem Manna
auf den Boden stellen, das Blatt
mit dem Gedicht daneben legen 
und dann beides verbrennen.

Begleitet von einer Schar Soldaten bestieg der Bote den Gipfel des Berges
und tat, was der Kaiser ihm befohlen hatte.
Seitdem wird jener Berg Fudji no Yama, Unsterblicher Berg, genannt.
Noch heute soll der Rauch aus seinem Gipfel zu den Wolken emporsteigen.

Meine lieben Träumerli - Kinder * * *
nun ist das Märchen zu Ende von

Kaguya Hime  Strahlende Prinzessin...

Hoffe sehr, es hat Euch gefallen und möge es lange in Euren Herzen bleiben,

niemals vergessen sein! 
 

 Bitte stubs mich an ...  *Ja, da guck sogar ich ganz traurig* führe Dich zurück zum Märchenbuch-01.html*

Nachwort :
Die Taketori Monogatari ist die älteste überlieferte romanhafte
Erzählung der japanischen Literatur.
Vermutlich wurde sie im späten 9. oder frühen
10. Jahrhundert niedergeschrieben.
Ihr Autor ist unbekannt.
Schon in der Jahrtausendwende entstandenen
"Geschichte des Prinzen Genji" heißt es an einer Stelle:

"Die Taketori Monogatari ist das Urbild aller Erzählungen."
 
 


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