

Es
gibt Tage, da ist das goldene
Reh
fröhlich,
auch heiter
es gibt aber auch Tage,da es sehr traurig ist...
Wie es weiter
geht?
Nun - lies bitte weiter!

Es war einmal ein junger Mann,
der war der dritte Sohn eines Fürsten.
Sein ältester
Bruder war zum Erbe allen Besitzes seines Vaters
bestimmt und sein anderer Bruder ging in ein Kloster und wurde
ein wichtiger Abt.
Aber der dritte
Sohn des Fürsten hatte keinen Ehrgeiz zu all dem
und so lebte er eine Zeitlang vor sich hin, kümmerte sich mal um
dies und mal um das und wollte nicht mehr sein als ein netter Mensch.
Aber dann begab
es sich, daß beim großen Markt auf der Burg ein
Wahrsager sein Zelt aufschlug und der junge Mann war neugierig
und ging hinein.
Da saß nun ein kleines Männchen an einem kleinen Tisch und vor
ihm eine elfenbeinerne Kugel, die so lange poliert worden war,
daß sie fast durchsichtig erschien.
Das
Gesicht des Männchens war nicht zu erkennen,
denn es trug eine große Kugel, also eine Kapuze,
und
dem jungen Fürstensohn war plötzlich ganz
schön mulmig zumute.
Aber er setzte sich trotzdem auf einen einsamen Schemel.
Und als der Wahrsager
zu sprechen begann,
war der junge Mann sehr verblüfft,
denn dieser sprach mit seiner eigenen Stimme:
"Dein
Schicksal ist es, das schönste Tier des Waldes zu suchen
und es mit dir nach Hause zu führen."
Mehr sagte das Männchen nicht und gab keine Antwort mehr,
sosehr es auch bedrängt wurde.
Da ging der junge Mann fort und dachte lange nach.
Ihr müßt
wissen, daß zu jenen Zeiten die Wälder noch mit vielerlei
Wesen
mehr gefüllt
waren als heute.
Es gab Waldlöwen, riesige Bären, übelriechende Echsen und
allerlei Gefahren, die ein Jagen im Wald sehr gefährlich machten.
Drei
Tage später zog der junge Fürstensohn los
und wurde Jäger.
Drei Jahre ging er in Lehre, drei Jahre zog er mit anderen Jägern
gemeinsam umher, doch dann erkannte er, daß er so nicht finden
würde, was er suchte.
Er hatte viel gelernt über die Tiere des Waldes
und verstand es
vortrefflich, Fallen zu legen, an Tränken aufzulauern
und seine Pfeile zielsicher zu verschießen.
Er war ein sehr
guter Jäger geworden und hätte stolz auf sich
sein können, aber das bedeutete ihm nichts und so begann er,
allein durch die Wälder zu streifen.
Auf diese Weise lernte er unhörbar zu schleichen und eine fast
so feine Nase und fast so gute Ohren zu bekommen wie die
Tiere des Waldes.
Und da er nun allein jagte, hatte er plötzlich viel Zeit, um die Tiere
zu beobachten, um zu sehen, wie sie lebten,
was sie fraßen,
wie sie ihre Jungen zur Welt brachten.
So lebte er viele
Jahre im Wald und wurde immer mehr ein
Freund der Tiere,
der
nur noch
selten eines erlegte, außer er war sehr hungrig.
Doch selbst dann verstand er es, die Beute richtig auszuwählen.
Er hielt sich selbst für glücklich, hatte einen großen
Frieden
in sich und dachte schon lange nicht mehr an die Worte des Wahrsagers.

Eines frühen
Morgens jedoch, zu Beginn eines wunderschönen
Tages sah er plötzlich etwas auf einer Lichtung stehen,
das ihm den Atem nahm.
Die Sonnenstrahlen fielen schräg durch die letzten Reste des
Morgendunstes und schienen einen Weg zu formen, der direkt vom
Himmel herabführte.
Und genau dort stand das
goldeneReh
und äste gemütlich vor sich hin.
Nie zuvor hatte der Jäger etwas so Schönes gesehen, es berührte
ihn tief in seiner Seele und sogleich wußte er:
Das war es, was er so lange gesucht hatte und nirgendwo gefunden.
Und dann tat das
goldene Reh
etwas, was es nicht hätte tun sollen.
Es schaute auf und blickte den Jäger direkt an
mit zarten braunen
Augen, in denen warmes Gold lag und soviel mehr.
Und
da war es um den Jäger geschehen und sein Herz blieb lange
stehen bei diesem Anblick.
So lange, daß er schon vermeinte, ein wenig gestorben zu sein,
und ihm schwanden die Sinne.
Als er wieder zu sich kam, war das goldene
Reh
verschwunden,
doch ihr Bild hatte sich dem Jäger tief in sein weites Herz gebrannt.
Und
so begann er mit seiner Jagd,
nahm die Fährte auf und verfolgte es,
zuerst langsam und vorsichtig,
weil er noch nicht recht wußte, was er wohl mit dem goldenen
Reh
anzufangen gedachte, wenn er es erst gefangen hatte.
Er blieb in leichter Distanz, war neugierig und versuchte es
kennenzulernen, Vorlieben, Gewohnheiten, das Wesen.

Und
ihm gefiel, was er sah. 
Oft
kam er ihm recht nah und manchmal lies es zu,
daß er es bewundernd betrachtete, verweilte ein wenig,
bevor es wieder entschwand.
Manchmal aber auch hätte er es fast verloren, wenn es durch
Bäche und Wildwasser ging, aber dann schien es, als hinterließe
es dem Jäger ein deutliches Zeichen, einen tiefen Hufabdruck
im weichen Ufer, geknickte Zweige an einem Busch.
So
ging die Jagd in einem fort und fort
und es wurde ein schönes Spiel
für beide, das sie nicht lassen konnten.
Ein halbes Jahr
verstrich, während der Jäger am Tage seiner
Beute folgte und in der Nacht von ihr träumte
und die anderen Tiere des
Waldes sahen belustigt zu und gewöhnten sich daran,
daß wenn einer von beiden auftauchte, der andere nicht weit war.
Denn
manchmal schien es fast, als würde das goldene
Reh
seinen Jäger foppen, lies ihn im Kreis gehen,
lauerte ihm selbst ein wenig
auf und entflüchtete dann wieder für einige Tage.
Mal schien es wild und kampfeslustig zu
sein
und verwegen,
mal ernst und von überirdischer Zartheit.
In
dieser Zeit aber machte das wechselnde Spiel
von Nähe und
Ferne den Jäger immer ungeduldiger und er erdachte sich immer
bessere, ausgefallenere Schlingen, Gruben und Fallen,
fuhr fast alles auf, was er sich nur erdenken konnte und das war
eine ganze Menge, das kann ich euch sagen.
Er
tat besondere Dinge, die er noch nie getan hatte.
Zum
Beispiel fand er eines Nachts einen Steinsplitter mitten im Wald,
der wie aus Kristall geschliffen schien, so herrlich funkelte er
im Sternenlicht.
Und als der Jäger genauer hinsah, hatte er fast das
Gefühl,
einen kleinen Stern
in seinen Fingern zu halten.
Da
machte er den Stern dem goldenen
Reh
zum Geschenk,
legte ihn offen sichtbar an eine Furt, über die es kommen mußte
und zog sich zurück.
Als
er am nächsten Tag nachsah, war der Stern
fort
und er fand
selten deutliche Spuren des goldenen
Rehs,
aber es selbst war nicht geblieben.
Da
wurde der Jäger
traurig, denn nichts half,
das Spiel ging weiter und zehrte an ihm.
So begab es sich, daß er eines Abend vor seinem Lagerfeuer saß
und grübelte, als ein winziges Feuerteufelchen
aus den Flammen
sprang und sich mit in die Seiten gestützten Armen vor dem Jäger
aufbaute.
So
stand es da, frech und mit lustig brennenden Haaren und rief:
"He,
Jäger!Sag
mal, hast Du
keinen Stolz?
Du
wirst das Reh niemals fangen, es spielt nur mit Dir!"
Da
wurde der Angesprochene zornig, denn dies geschah just zu
einer Zeit, da das goldene
Reh
ihn wieder auf Distanz hielt.
Er sprang auf
und machte seinem Unmut Luft.
"Du
hast recht!"
rief er laut in den stillen Wald hinein
und beschloß, nun wirklich böse zu sein.
"Sieh
hin",
schleuderte
ihm das Feuerteufelchen entgegen,
während Funken
aus seinen Haaren sprangen,
"siehst
du nicht, wie lang dein Schatten geworden ist, über den du
jeden Morgen aufs Neue springen mußt?
Noch nie hast Du einem Tier so lange hinterhergejagt."
Und
der Jäger erschrak, als er auf seinen Schatten blickte,
der wahrhaft riesig geworden war und die Geschichte hätte hier
wirklich tragisch enden können.
Doch
da kam plötzlich ein winziger Glühwürmchenengel zwischen
den dunklen Bäumen dahergeschwebt, so als hätte er sich die ganze
Zeit dort versteckt und nur auf den rechten Zeitpunkt gewartet und
hielt direkt vor den Augen des Jägers inne.
Glühwürmchenengel,
müßt ihr wissen,
können unwahrscheinlich viele Dinge;
vertrackte
Rätsel stellen,Wünsche
erfüllen,
singen wie die bezauberndste Nachtigall
und vieles mehr.
Nichts
davon tat dieser hier.
Er
blickte den Jäger nur aus traurigen Augen an und dieser bekam
eine ganz fürchterliche Gänsehaut, weil er an die sanften Augen
und den zärtlichen Blick seines goldenen
Rehs
dachte
und sie vor sich sah mit seinem geistigen Auge.
Und
da spürte er erst, wie sehr es ihm ans Herz gewachsen war,
viel mehr noch, als er je angenommen hatte und er ging los,
quer durch die Nacht und den Wald,
ohne Gruß oder Abschied.
Viele
Tage stapfte er so über Hügel und durch Täler und erwachte
erst wieder aus seinen Gedanken und seinen Gefühlen,
als er wieder vor dem Lager stand, von dem aus er losgezogen war.
Kein
Feuerteufelchen
und
kein
Glühwürmchenengel
war mehr zu sehen.
Nur
seinen Schatten fand er dort noch immer,
groß und lang in der frühen Morgenstunde.
Da
lachte der Jäger und sprang mit einem einzigen großen Satz über
seinen Schatten und plötzlich sah die Welt wieder ganz anders aus.
So
sprang und hüpfte er vor Freude den ganzen Tag
hindurch quer durch den Wald, über Wurzeln, über Gräser,
über Blumen, aber immer wieder über seinen Schatten.
Bis
er ganz außer Atem war und die Tiere des Waldes ihn erstaunt
betrachteten, so erstaunt, daß es gar keine Scheu mehr vor ihm zeigten.
Der Jäger jedoch suchte sich einen schönen Platz,
eine Lichtung ähnlich derer, auf welcher er das allererste Mal
das goldene
Reh
erblickt hatte und beschloß,
sich eine Hütte zu bauen.
Neun
Tage baute er an seiner Hütte, nur so zum Zeitvertreib und um
einen klaren Kopf zu bekommen. Dann, als er fertig war,
betrachtete er sein Werk zufrieden und setzte sich auf
einen Baumstumpf, um auszuruhen.
Da
sah er plötzlich hinter einem dichten
Himbeerstrauch
sein
goldene
Reh
hervorlugen.
So
blieb er ganz still sitzen und lächelte sie nur freundlich an,
während es langsam und vorsichtig immer näher kam.
Zweimal
schien es, als würde es sich doch noch einmal
anders
überlegen zögerte kurz,
doch der Jäger blieb so still
sitzen und lächelte so nett, daß es immer weiter näher
kam.
Als
es schließlich vor ihm stand, da hob er ganz langsam die
Hand und streichelte es sanft und zärtlich.
Da
verwandelte sich das goldeneReh
vor den Augen des Jägers
in eine hübsche junge Frau, die ihn nun mit denselben wundervollen
braunen Augen
ansah,
ebenfalls lächelte
und ihm dann sanft über den Kopf strich.
"So
viele haben mich gejagt,
aber keiner konnte mich wirklich fangen.
Denn
du mußt wissen, ich bin einePrinzessin,
die von einem
verschmähten
Magier
verzaubert und mit einemFluch
belegt wurde.
Ich
durfte keinem zu nahe kommen, keinem deuten,
wer ich bin und mich immer nur jagen lassen.
Nur
wenn einer festen Willens wäre, nicht aufzugeben,
weil ihm so viel an mir liegt, daß er immer wieder über seinen
Schatten zu springen vermag, wenn er auch enttäuscht und
entmutigt ist, dann kann er mein Herz erringen und damit meine
Freiheit!
Es
heißt, wenn man etwas wirklich lieb hat,
dann muß man es freilassen.
Kehrt
es zurück, dann hat es einen auch lieb.
Bleibt
es fort, dann war es nicht genug.
Du
bist über deinen Schatten gesprungen und hast mich
in Gedanken freigelassen und nicht mehr so begierig verfolgt,
eben weil du mich so sehr magst.
Nur
so konntest du endlich meine Nähe erringen ...
"Da
war der Jäger sehr, sehr glücklich, nahm sie in seine Arme
und küßte sie lange.
Es
gab sechs wirklich bedeutsame, liebevolle und
leidenschaftliche Küsse in der Geschichte der Menschheit.
Dieser
Kuß jedoch hat sie alle übertroffen ...
Und
sie lebten glücklich zusammen
bis
an das Ende ihrer Tage.
